Ich muß mir wirklich überlegen, was wir heute alles gesehen haben, der Tag war sonnig und den ganzen Tag mit einem eigenartigen Wind, fast wie der Mistral in der Provence – einerseits angenehm frisch in der Sommersonne, andererseits ermüdet der Wind und die Sonne etwas, wie nach einem langen Tag am Meer.
Lemberg begrüßte uns also auch heute morgen mit blauem Himmel, so daß ich die Jungs zügig aus dem Bett warf und wir schon kurz nach neun auf der Ausfallstraße Richtung Iwano-Frankiwsk waren. Die Strecke ist als Straße dritten Ranges gekennzeichnet, als „regional importance“, nach „internationalen“ und „nationalen“ Straßen. Man merkt es – das Verflixte an diesen Straßen ist nicht der Gesamtzustand, sondern daß einen nach jeder Kurve etwas anderes erwarten kann. Ein paar Kilometer feinster Asphalt, dann wieder weichgekochte Spurrillen und zwischendurch ein tief aufgerissenes Loch im Asphalt. Es klingt jetzt hier schlimmer als es ist, aber man muß sich schon ein wenig konzentrieren. Im Schnitt sind wir gemütliche 60 bis 80 Stundenkilometer gefahren. Das hat den Vorteil, daß man nicht an allem vorbeirauscht, sondern auch mal ganz spontan anhalten oder abbiegen kann.
Die Landschaft ist durch Landwirtschaft geprägt, und der „blonde Weizen der Ukraine“ steht im besten Saft. Es ist Hochsommer, und man sieht Mähdrescher neben Pferdefuhrwerken und teilweise bereits abgeerntete Felder. In Tschertsche machen wir einen längeren Stopp und schauen uns die Holzkirche und das Sanatorium an. Es handelt sich um einen Bade-Kurort mit Schlammpackungen und so Zeug (Oxana: nein, das ist kein gutes Deutsch im letzten Satz). Keine Trinkquellen, obwohl es aus dem Kurhaus genauso nach Schwefel riecht, wie ich es von den leckeren transkarpatischen Quellen kenne … Ein netter, ruhiger Park mit Bettenhäusern, Kurhaus und kleinen Rückzugsoasen, sogar einem Tanzboden – alles atmet noch ein wenig Sozialismus, aber man kann sich gut vorstellen, hier zu Ruhe und Erholung zu kommen, wenn man sie braucht.
Mittags landen wir in Rohatyn, das (unter anderem) mit einer wunderbaren Holzkirche aus dem 17. Jahrhundert aufwarten kann, die heute allerdings nur noch als Museum betrieben wird. Wir zahlen brav unseren Obolus (10 Hrywnja für Erwachsene, 3 für unseren Abiturienten) und lassen uns dafür von der jungen Dame die Schätze der Kirche zeigen – leider Fotografierverbot (was wir zunächst natürlich nicht wußten ;-) Die Kirche ist mit 7 weiteren ukrainischen und 8 polnischen Holzkirchen für das UNESCO-Weltkulturerbe nominiert, die Entscheidung steht kurz bevor. Wir drücken die Daumen, denn es wird Zeit, daß die Welt diese Schätze wahrnimmt und sich möglichst wirkmächtig für ihren Schutz einsetzt.
Hinter Rohatyn biegen wir in einem Dörfchen rechts ab und finden einen ruhigen Platz abseits für unsere Mittagspause – richtig mit Markise raus und in den Sesseln relaxen, dazwischen die Hühner, die unsere Brotkrümel aufpicken und gelegentlichen Dorfbewohnern, die uns geflissentlich ignorieren und sich vermutlich ihren Teil denken.
Auf der Karte hatten wir einen großen Stausee entdeckt und uns ein Wassersportparadies mit viel Natur drumherum vorgestellt. Was dann kam, war ein aktives Wärmekraftwerk mit großen Kohlehaufen und hohen Schornsteinen. Der Ruhrpott-Ray war natürlich begeistert und machte entsprechende Aufnahmen.
Wir beschlossen derweil, Halytsch anzusteuern, das Zentrum des historischen Galizien. Überraschung! Eine Tourist-Information gibt’s hier nicht, und die Frau im Museum hat auch nur den Tipp eines Hotels hinter dem Ort, wo man mal nach einem Stellplatz fragen könnte. Dafür, daß wir uns hier auf historischem Boden umgeben von Naturparks befinden, fühlt sich das hier sehr nach Dornröschenschlaf an. Sehr hübsch, direkt am Fluß, entspannte Atmosphäre und nette Leute – aber auch noch nicht ganz in der Gegenwart angekommen. Empfehlenswert!
Uns hilft das natürlich nur begrenzt, und da wir zu müde für Abenteuer sind, beschließen wir gleich ins nahegelegene Iwano-Frankiwsk, das Oblastzentrum zu fahren. Wir erwischen aber die falsche Straße aus dem Ort heraus, die später wieder auf die Haupttrasse führt, und das stellt sich als Glücksfall heraus: wir werden überrascht von einer traumhaft schönen Anlage namens „Milchstraße“, einer liebevoll in traditioneller Holzbauweise ausgeführten Anlage (Kolyba) mit Außengastronomie und großem Parkplatz, direkt am Waldrand zwischen Halytsch und dem nächsten Dörfchen gelegen. Das Campingplatzsymbol springt uns natürlich als nächstes ins Auge. Die Chefin des Ganzen ist ein Profi: keine großen Fragen, stellt Euch hin, wo immer Ihr wollt, mein Bruder erklärt euch alles, hier gibt’s zu Essen, Kaffee, was immer Ihr wollt. Der Bruder erklärt uns noch, daß der Schlagbaum um Mitternacht geschlossen wird und die ganze Nacht ein bewaffneter Wachmann mit vier Hunden patroulliert. Saubere Außentoilette (Plumpsklo natürlich, wir sind im Wald) mit Handwaschbecken, alles liebevoll holzgeschnitzt. Über Geld wurde überhaupt nicht gesprochen … also entschieden wir uns aus Anstand für ein warmes Abendessen: die Jungs natürlich Schaschlyk vom Holzfeuer, das im ebenso liebevoll ausgestatteten Innenraum der Kolyba brennt. Ich bekomme Pelmeny mit Pilzfüllung, allerdings bin ich vom großen Salat vorneweg schon so satt, daß ich sie kaum schaffe. Mit zwei großen Schweppes und einem halben Liter Bier für Ray zusammen für 270 Hrywnja (27 Euro). Wenn der Stellplatz kostenlos bleibt, ein guter Deal.
Was wir auf unserer kleinen Einkaufsrunde in Halytsch noch alles entdeckt haben, schauen wir uns morgen ausführlicher an, wir beschließen, mindestens zwei Nächte zu bleiben und unsere Besichtigung von Iwano-Frankiwsk von hier aus zu starten. Morgen gibt’s aber rundum noch eine Menge zu sehen.
Wir sind heute autark: Kühlschrank auf Gas, Notebooks auf 12 Volt, Internet sehr schwach bis nicht vorhanden (wir sind im Wald), warmes Wasser aus dem Boiler. Alles ist gut. Bilder morgen, wenn mehr Daten durch die Leitung gehen.
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