Toskana mit dem Wohnmobil, Tag 7/8 (Colle di Val d’Elsa, Collalto – Siena)
Bei Patrone Giovanni auf dem Weingut Casale setzte so langsam die Erholung ein. Wenig bis gar kein Internet, und Ray blieb trotzdem entspannt, ein gutes Zeichen. Ein kleiner Ausflug nach Colle di Val d’Elsa, ein im Vergleich zu San Gimignano höchst angenehm verschlafenes kleines Nest, in dem noch Schulbusse durch die engen Gassen fahren und es noch Parkplätze und ganz normale Geschäfte, in der Mittagspause obligatorisch geschlossen, gibt. Sehr zu empfehlen für einen entspannten kleinen Spaziergang.
Am dritten Morgen weckte uns ein leichter toskanischer Landregen, der nicht einmal unangenehm war. Wir verabschiedeten uns von Meister Giovanni, nahmen uns noch ein 5-Liter-Päckchen des leichten Roten zum Selberzapfen und ein Glas seiner Feigenmarmelade mit, und schlugen uns mit Pösslchen auf verschlungenen Wegen im Regen Richtung Siena (38 gemütliche Kilometer).
Dort hatten wir eigentlich vor, nur ein paar Stunden zu bleiben, um dann weiter südlich einen netten Campingplatz aufzusuchen. Die Suche nach einem Parkplatz gestaltete sich allerdings höchst ärgerlich. Gréus in seinem Womo-Führer hatte es bereits angedeutet, und es ist tatsächlich so: Es gibt Womo-Parkplätze und einen großen, wenig einladenden Stellplatz weit außerhalb des Zentrums, auf dem man ab einer (!) Stunde aufwärts die ganzen 20 Euro für 24 Stunden bezahlen muß. Der arme junge Mann im Wachhäuschen war sich der Abzocke bewußt und hatte sicher schon öfters mit verärgerten Campern zu tun; er entschuldigte sich praktisch schon im ersten Satz, daß er nichts dafür könne. Ich sparte mir die Diskussion und wir entschieden, dann doch hierzubleiben, damit die 20 Euro sich wenigstens lohnen und Siena nicht in Streß ausartet. Ein Reisebus zahlt hier übrigens 110 Euro fürs Parken. Das ganze Arrangement schreit einem doch ins Gesicht: Wir wollen Dich hier nicht, hau ab!
Statt Bus konnten wir dann eine laaaaaange Rolltreppe (!) hoch ins Zentrum nehmen, sehr praktisch. Immer noch eine halbe Stunde bis zum Campo zu laufen, aber ganz angenehm.
Und dann: Siena.
Das Wetter hatte sich beruhigt, aber die Wolken rissen noch nicht auf. Es war angenehm ruhig in der Stadt, auch hier gelegentlich noch „normales“ Leben und nicht nur Touristen in der Straße. Ein leckeres Stück Pizza auf die Hand direkt hinter der zentralen Piazza di Campo für 1,50 klingt jetzt nicht nach Touristenhochburg. Nach der Piazza zogen wir Richtung Duomo, von dem ich wenig Vorstellung hatte und nach dem Dom in Florenz auch wenig Neues erwartete. Welche Naivität! Ich stand zunächst sprachlos vor der gotischen, überfüllten Westfassade aus dem Mittelalter. Alles helles Marmor, weiß und rosa, voll mit Ornamenten, eng bestückt mit großen Skulpturen aller Art. Wir liefen hin und her und ich dachte noch: ist das nicht ein bißl zuviel des Guten? Die Pläne, aus dem Dom das Querschiff für einen 100 Meter langen Neubau zu machen, lassen jetzt auch nicht grade auf mittelalterliche Bescheidenheit schließen … hat ja dann wegen der Pest 1348 und etwas zu schwachen Fundamenten nicht geklappt, die Reste sieht man jedoch heute noch.
Wir buchten das „All inclusive“-Dom-Ticket, mit dem wir morgen früh noch ins Dommuseum und hoch auf die unvollendete Baustelle steigen können, und begannen mit dem Inneren der Kathedrale. Was soll ich sagen? Ich verstand plötzlich, wo der typisch deutsche und mitteleuropäische Superlativ „nördlich der Alpen“ herkommt: mit dem, was wir hier zu sehen bekamen, läßt sich nichts in Zentraleuropa vergleichen. Diese Üppigkeit, dieser Erhaltungszustand, der Reichtum der Ausstattung. Man schaut und schaut und schaut und meint, Jahre mit den Details verbringen zu können, bevor man auch nur eine Idee vom Ganzen hat.
Allein der Fußboden: riesige Marmorintarsien, 56 Felder, über die gesamte Kirche verteilt, größtenteils in großartigem Zustand erhalten. Und die Piccolomini-Bibliothek, ein „kleiner“ Nebenraum der Kathedrale voller perfekt erhaltener Fresken mit einer unerhörten perspektivischen Wirkung. Wir konnten uns kaum losreißen. Vorher hatten wir uns noch ein wenig lustig gemacht über die Reiseführer, die als Höhepunkt jeder Sehenswürdigkeit in toskanischen Orten „Fresken“, „Freskenzyklen“ oder zur Abwechslung auch einmal wieder „Fresken“ anboten, hier hauten sie uns buchstäblich um.
Als wir aus der Kathedrale herauskamen, kam die Nachmittagssonne heraus und beleuchtete die Westfassade, wie man es sich als Fotograf nur wünschen kann. Ray setzte mich also auf einer Bank vor dem Buchladen ab und war für den Rest des Samstagnachmittags verschwunden ;-)
Zum Abschluß dieses überraschenden Kulturschocks wollten wir uns noch ein Eis gönnen; es mußte ja nicht die berühmte Pasticcheria der Familie Gianna Nanninis sein. Wir hatten wieder einmal Glück und wählten bei beginnendem Starkregen schnell eine Eisdiele an der Piazza del Campo aus. Im Café im ersten Stock konnte man die Balkontür öffnen und hatte einen grandiosen Blick auf die Piazza und den Torre del Mangia. Wenn wegen Starkregens der sonst mit Menschen gefüllte Platz völlig leer ist, und dann im richtigen Moment die Sonne herauskommt … unbezahlbar. Für dieses Café würde ich sogar das Prädikat „Geheimtipp“ vergeben: Die erstklassige Aussicht ist jeden der 8 Euro für den Eisbecher wert.
Alles in Allem: Für uns schlägt Siena schon nach wenigen Stunden die ewige Konkurrentin Florenz deutlich nach Punkten. Daran ändert auch die ärgerliche Stellplatz-Situation nichts.