Bergues weckt uns am Samstag mit dem bereits bekannten Glockenspiel. Wir haben den leisen Verdacht, daß der Glöckner nicht alle Viertelstunde persönlich hochsteigt … Die Weißschiffe verlassen beinahe im Konvoi den Platz, und am Wassergraben rund um die Stadtbefestigung hat sich halb Bergues versammelt, um gemeinsam (oder um die Wette?) zu angeln. Dieses Örtchen ist cool – hier ist noch richtig Gemeinschaftsleben, ich hoffe die bleiben so eigen und lassen sich von uns Touristen nicht das Hirn vernebeln.
Wir wollen möglichst nah an der Küste entlangfahren, nicht die Strecke, die Google uns vorschlägt. Das verschafft uns zwischen Dünkirchen und Graveline Einblicke in unfaßbar weitläufige Hafenanlagen und Raffinerien, die sich über viele Kilometer hinziehen (später kamen wir noch dahinter, daß wir auch das zweitgrößte Kernkraftwerk Europas vor der Nase hatten). In Graveline finden wir eher zufällig einen schönen Parkplatz am Meer, wo wir unseren ersten Spaziergang die Kaimauer runter bis zum Wasser machen. Da das Meer – wie immer wenn ich an der Nordsee bin, ich erwähnte es wohl – grade weg war, ging es weit raus, wo sich bereits einige Angler mit sorgfältig zerquetschten Würmern oberhalb des Schlicks platziert hatten. Wie lange wollen sie da wohl warten, bis die Flut zurückkommt? Ray jedenfalls war in seinem Element, da er die großen Fährpötte nach Calais–Dover direkt vor der Nase hatte. Wir disponieren vor lauter Begeisterung grade den Tunnelplan nach England für den Sommer um und erwägen doch die Fähre. Mir alten Tunnelphobikerin soll es recht sein … .
Da ich Ray für heute zwei Nasen versprochen hatte, fahren wir durch Calais nur durch und steuern das Cap Blanc-Nez bei Escalles an. Ich hatte die pure Natur, einsame Strände und so im Kopf, und die Landschaft ist wirklich großartig, das bisherige Flachland steigt schlagartig an und wird zu einer aufregend hügeligen Landschaft mit viel Landwirtschaft.
Die Kaps sind aber leider schon lange kein Geheimtipp mehr, sondern eine der 35 „Grand Sites“ in Frankreich (also vergleichbar z.B. mit Mont Saint Michel), und insofern am Ostersamstag schon sehr gut besucht. Oberhalb des Kaps, das voll mit alten deutschen Bunkeranlagen ist, strömten die Massen, und der einzige Parkplatz dort hat eine Zwei-Meter-Begrenzung. Einige wenige Womos quetschten sich im Ergebnis verzweifelt an den Straßenrand. Unser Tipp: Gegenüber der Parkplatzeinfahrt führt eine Straße auf den Mont d’Hubert, wo die Aussichten noch grandioser und die Parkplätze (zumindest Karsamstagnachmittag) fast leer waren. Dort gibt es auch eine gastronomische Einrichtung, die unser Geld heute aber nicht haben wollte.
Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Der Wind pfeift uns um die Ohren, Kinderwagen, volle Parkplätze und ich seh keinen weißen Kalkstein. Klar, den sieht man nur von unten am Strand. Aber welcher Strand doch gleich? OK OK, die viele frische Luft schlaucht uns Stadtweicheier. Nach einer Umrundung des „Boucles“ beschließen wir, zur grauen Nase (Cap Gris-Nez) weiterzuziehen und dann vielleicht im Abendlicht zum Strand unterhalb der weißen Nase zurückzukehren. Die graue Nase liegt etwa 10 Kilometer weiter in Sichtweite, eigentlich auch eine schöne Wanderstrecke an der Küste entlang – eher im Sommer, aber da dürfte das Wandervolk sich erst recht auf die Füße treten.
Etwas weniger überlaufen, aber ebenfalls mit einem Rundweg gut erschlossen das Cap Gris-Nez. Hier gefällt es mir besser: es ist nicht so hoch, und man sieht wenigstens etwas von der Abbruchkante und dem Meer unterhalb. Es ist auch ausnahmsweise mal da!
Einen Strand hatte ich immer noch nicht, auch Gris-Nez hat diesbezüglich nichts zu bieten – wenn man dem Schild „Plage“ folgt, führt eine Straße betoniert direkt ins Meer, ein paar Felsbrocken, ein Parkplatz, Menschen, die auf der Straße stehen und ins Meer schauen. Nix für uns.
Also zurück Richtung Blanc-Nez. Allerdings sind uns bereits auf der Hinfahrt gut gefüllte Womo-Stellplätze aufgefallen, und die Straßen waren immer noch voll von den Schiffen, als ob sie alle am Suchen wären. Wir versuchten es deshalb spontan – und weil die Müdigkeit langsam zuschlug – in Wissant, ein Ort am Strand direkt zwischen den beiden Caps. Dem ersten „Camping“-Schild folgten wir, eine große, aber nette Anlage, wo wir auf unsere Frage nach einem Platz für die Nacht gleich auf Deutsch „mit Strom?“ als Rückfrage erhalten. Strom gibt es wegen der vorgerückten Stunde nicht mehr, aber einen ruhigen Platz mit Sichtschutz zum Nachbarn direkt an einem Naturschutzsee. Zum Strand zu Fuß 5-6 Minuten.
Der letzte Spaziergang heute dann – endlich! – mit richtigem Strand und einem schönen Blick auf die weiße Nase. Wir in dicken Jacken, Schal, Kapuze vor dem Wind geschützt, auf dem Wasser waghalsige Kitesurfer den Wind genießend. Es pfeift ganz schön! Von dem kleinen Strandcafé aus läßt sich das alles aber sehr schön beobachten. So langsam zieht sich auch – wie erwartet – das Meer zurück, hat wohl gemerkt, daß ich da bin.
Sind wir erschlagen von dem Wind und der vielen frischen Luft heute! Halb schlafend, halb wachend noch den Lachs aufgetaut (das Eisfach läuft auf Gas, steinharter Fisch!) und einen leckeren Couscous mit Tomaten dazu bereitet. Alles ist gut, der gute Fitou tut sein übriges, daß ich wohl bald ins Bett falle.