Sturmnacht, Louvre und heißer Kakao.

OK, das mit dem „gar nicht so windig“ haben die Sturmgötter gelesen und sich herausgefordert gefühlt. Die ganze Nacht wackelte Pösslchen hin und her, so daß es ein unruhiger Schlaf wurde, und die Müllcontainer lagen heute morgen kreuz und quer am Platzrand verstreut. Kein Besichtigungswetter für Arras oder sonstige Outdoor-Aktivitäten, also Plan B – mit starkem Seitenwind ab nach Lens fliegen. Nur 18 Kilometer entfernt, beherbergt es eine fast neue Dependance des Louvre, das hier im Rahmen des Strukturwandels im nordfranzösischen Kohlerevier entstanden ist. Kommt uns das irgendwie bekannt vor … ?

Auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Nr. 9 wurde bis 1980 Steinkohle gefördert, heute beherbergt es einen silberglänzenden, langgestreckten Bau voll mit Kunst. Wir haben uns wenig vorbereitet und werden angenehm überrascht: Nach einem Sicherheitscheck am Eingang wie am Flughafen erfahren wir, daß Fotografieren beinahe uneingeschränkt erlaubt ist – wow. In der großen Halle sind in einzelnen Glaspavillons Bibliothek, Buchladen, Picknickplatz und andere Funktionsräume untergebracht. Im Keller lassen wir nicht nur Taschen und Jacken, sondern können auch einen Blick in die Depots werfen – an der Glasscheibe sind Folientouchscreens angebracht, an denen man sich zu einzelnen Depotstücken informieren kann. An großen Display-Tischen kann man sich schon einmal multimedial mit der Sammlung auseinandersetzen.

Blick ins Depot, die Gemälde teils mit Pflasterstreifen im Gesicht.
Blick ins Depot, die Gemälde teils mit Pflasterstreifen im Gesicht.

Aber uns zieht es in die Dauerausstellung. Diese ist konzeptionell etwas anders als gewohnt aufgezogen, nicht regional oder nach Genre oder Stilen, sondern in einer langgestreckten „Timeline“ von 3500 v. Chr. bis ca. 1850 werden Kunstwerke unterschiedlicher Kulturkreise synchron und recht frei platziert zusammengebracht – Skulptur, Gemälde, aber auch angewandte Kunst. Am Anfang natürlich eher Ägypten zusammen mit Mesopotamien, später wird Europa Persien und den muslimischen Einflußgebieten und Indien gegenübergestellt. Sehr spannend, nicht nur, weil einem grade dieser ganze Pegida-Kram durch den Kopf geht. Man geht auch nicht so an der Wand lang, sondern die Besucher wuseln kreuz und quer und stellen ihre eigenen Verbindungen her. Da war richtig Leben drin, trotzdem wirkte es nicht unangenehm voll.

Blick in die wuselige Timeline
Blick in die wuselige Timeline
MItten drin liegen nackte Frauen im Weg herum.
MItten drin liegen nackte Frauen im Weg herum.
… und Männer mit Glatze.
… und Männer mit Glatze blicken stumm un den Raum.
Kreuz und quer arabische und christliche Kunst.
Kreuz und quer arabische und christliche Kunst.

Den zentralen Abschluß bildet das Monumentalgemäle „Roger délivrant Angélique“ (auf deutsch ganz profan „Roger rettet Angelika“) von Jean-Auguste-Dominique Ingres. Hier ist richtig Action: ein sarrazenischer (muslimischer) Ritter, auf einem Hippogreif (den wir natürlich alle nur aus Harry Potter kennen) rettet die nackte Schönheit, die in der Bretagne (oder doch in Irland) von einer „rohen Völkerschaft“ an den Felsen gekettet wurde, damit das böse Meerungeheuer etwas zu Fressen habe. Ganz großes Kino! Wer die Geschichte ganz lesen möchtet, findet sie im 10. Gesang des Versepos’ des Rasenden Rolands von Arioste.

Cooles Cape, könnte fast aus Plastik sein.
Cooles Cape, könnte fast aus Acryl sein.
Hier erwischt es das Ungeheuer
Hier erwischt es das Ungeheuer

Nach einer kleinen Stärkung in der Caféteria geht’s in den zweiten Flügel in die Sonderausstellung „Tiere der Pharaonen“, wo es allerlei ägyptisches Viechzeug zu sehen gibt. Auch nicht schlecht, aber nach der Hauptausstellung können wir das wohl nicht mehr angemessen würdigen. Aber schöne Tierskulpturen und mumifizierte Falken!

Zwischendurch blitzte durch die Fenster der Haupthalle mal ein Stück blauer Himmel durch, auch wenn die Wolken noch in rasendem Tempo durchzogen (ich suche den Hippogreif). Ein Rundgang um den Museumsbau ist zwar etwas winterlich grau, aber der Landschaftsgarten läßt für den Frühling einiges hoffen. Und im Hintergrund stehen still und stumm zwei der nahegelegenen „Terrils“, Berghalden des alten Kohlebergbaus herum.

Die Wolken wissen noch nicht so recht, was sie wollen.
Die Wolken wissen noch nicht so recht, was sie wollen.
Außenansicht.
Außenansicht.
Auch ohne blauen Himmel durchaus spannend.
Auch ohne blauen Himmel durchaus spannend.
Landschaftsgarten im Dezember
Landschaftsgarten im Dezember

In Lens selbst gönnen wir uns noch einen Cafébesuch und bewundern die Jugenstilfassaden der Innenstadt. Für eine strukturschwache Bergbaustadt sehr schick, wir kommen dann bei Sonne noch mal wieder.

Unser Stellplatz für die Nacht liegt auf dem Parkplatzgelände des Stadion Félix Bollaert (erinnert sich jemand an Daniel Nivel? Das war ziemlich genau hier) Die Versorgungsstation „überrascht“ uns mit Kreditkartenzahlung, und man kann sich aussuchen, ob man für 3 Euro eine halbe Stunde (!) Wasser oder Strom bekommen möchte. Bitte noch mal ruhig durchatmen: 3 Euro für eine halbe Stunde Strom, wer hat sich das bitte ausgedacht, und wozu soll das gut sein? Da waren echte Experten am Werk … Ray ist etwas nervös, wie lange unsere Batterie ohne Landstrom zuverlässig den Truma-Ventilator antreibt, aber sie bollert brav vor sich hin und wir haben 20 Grad im Pösslchen. Hoffen wir, daß es so bleibt!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert