Nur drei Tage weiter, und schon wieder liegen ganze Welten dazwischen. Als wir nach einer sehr frostigen Nacht (Mini-Eiszapfen am Außenspiegel) am Sonntagmorgen aufwachen – Pösslchen und Truma haben sich wacker geschlagen – bläut der Himmel ohne ein einziges Wölkchen über Lens. Nichts wie zurück zum Louvre-Lens, um die Architektur noch einmal in Sonne zu sehen. Der gestern noch leicht sumpfige Landschaftsgarten knistert unter einer kleinen Eisschicht vor sich hin, und die Glas- und Alu-Fassade des Museums spiegelt die umgebende Bergbau-Landschaft.
Die nahegelegenen Bergbauhalden des nordfranzösischen Kohlereviers, hier „Terrils“ genannt, sind die höchsten in Europa und ziehen uns magisch an. Sie sind von fast überall sichtbar und prägen die hiesige Landschaft – wir lernen, daß das nordfranzösische Bergbaurevier UNESCO-Welterbe ist. Sonntagmorgens ist die Förderanlage, deren Gebäude schon in Kultur- und nachhaltige Öko-Unternehmen konvertiert wurden, fast ausgestorben. Die Terrils meiden wir dann aber doch, weil dieses Schild „Chasse“ (Jagd) uns etwas abgeschreckt hat.
Da wir dem Braten mit dem Freistehen noch nicht ganz trauen und bei der Kälte nicht erwarten, im Pösslchen duschen zu können, ziehen wir Richtung Küste, wo ich uns den einzigen offenen Campingplatz weit und breit ausgesucht habe. Von den weiteren Sehenswürdigkeiten der Umgebung wählen wir noch eins aus und legen eins für die Rückfahrt zurück.
Auf einer Anhöhe nahe Lens liegt die Kriegsgräberstätte Notre-Dame de Lorette, wo die 180.000 Toten von 1915, die für diesen Hügel mit der tollen Aussicht auf das Kohlerevier und die Ebene nach Arras sterben mußten, beerdigt sind. Auf der einen Seite ist sie ein typischer Soldatenfriedhof mit einer neo-irgendwas-bombast-Architektur bei Kirche und Mahnmal; auf der anderen Seite hat man in diesem Jahr zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs ein etwas anderes Mahnmal errichtet: auf diesem sind in einer kreisförmigen Anlage die Namen aller (bekannten), in der Region gefallenen Soldaten aufgelistet, alphabetisch, ohne Rang, und: aller beteiligten Nationalitäten, ob Freund oder Feind. Wie man hörte, war das selbst heutzutage durchaus nicht unumstritten.
Vom Friedhof aus blickt man auf das ehemalige Schlachtfeld, und kommt auf der Rückfahrt dann an einer gotischen Kirche vorbei, von der seit 14/18 nur die Ruine erhalten geblieben ist. Noch ein Mahnmal.
Jetzt aber weiter, wir wollen ja noch auf den Campingplatz. Quer übers Land, teilweise auf bequemen Autostraßen, erreichen wir das verschlafene Nest Conchil-le-Temple, dessen Campingplatz im Internet „Overt tout l’année“ reklamiert. Erfahrene Leserinnen und Leser werden es schon ahnen: da stimmt sicher etwas nicht. Und so ist es auch: Ein tiefgefrorener Campingplatz mit den typischen „Offen von April bis Oktober“-Anzeigen. Da hilft auch nicht das „Free WiFi“-Schild. Nachdem wir am Wohnhaus geklopft hatten, erleben wir nur ein staunendes „geschlossen, alle Wasserhähne abgedreht etc.“ – auch auf mein „aber im Internet…?“ gibt es nur ein langgezogenes „Mais noooon!“ Hm. Wo denn dann? Machen wir es kurz, ich erspare uns unsere Rundfahrt durch Berck: es gibt keine offenen Campingplätze hierzulande im Winter. Aber Berck hat einen sehr schön gelegenen Stellplatz direkt hinter den Dünen, der im Sommer 10 Euro kostet, jetzt aber mangels Infrastruktur (Wasser abgestellt, kein Strom) kostenlos ist. „Terminus“ – am Ende des Ortes. Sehr schön. Also noch eine Nacht ohne Strom, was Pösslchen und den beiden Weihnachtsbatterien, die uns Marc Nowak Ende 2013 vermacht hat, nichts auszumachen scheint. Allerdings geht uns langsam das Wasser aus.
Aber wie die beiden deutschen Wohnmobilisten, mit denen wir am nächsten Morgen palaverten, so nett bemerkten: Duschen wird überbewertet. Und so laufen wir morgens 2 km zum Baguettekauf nach Berck, im Gegenwind am Strand entlang (das Meer natürlich mal wieder … Ihr ahnt es schon: weg) und über die Dünen zurück und genießen die himmlische Ruhe eines Badeortes im Winter. Naja, bis uns nach etwa 30 Minuten langweilig wird und wir schauen, daß wir weiterkommen. Erwähnte ich schon, daß die Sonne immer noch scheint und der Himmel bläut?