Wenn ich mich recht erinnere, muß es das Jahr 1996 gegen Ende Oktober gewesen sein. Mein blauer VW-Bus war nicht durch den TÜV gekommen und meine Bretagne-Fahrt geriet in Gefahr. Typisch, immer alles auf den letzten Drücker zu machen. Die Schweißarbeiten wären in einer Nachtschicht noch zu erledigen gewesen. Die vielen Kleinarbeiten und die ausgeschlagene Lenkung waren ein Problem. Das erforderliche Teil war nicht mehr lieferbar. Somit war guter Rat teuer und der Urlaub in weiter Ferne.
Da meinte mein Freund und Arbeitskollege Helmut, man könne mit dem LT seines Schwagers fahren. Ein komplett ausgebauter VW LT, auch nicht schlecht. Deutlich größer als mein Bus und mit angebauter Markise. Zu dieser Zeit ein echter Luxus, zumindest in der Klasse von Wohnmobilen, in der wir uns bewegten.
Was gab’s da noch zu überlegen? Einige Tage später waren wir unterwegs in Richtung Frankreich.
Erster Anlaufpunkt war aus reiner Tradition das winzige Örtchen Plovan in der Bretagne. Es liegt im Departement Finistere direkt an der Atlantikküste. Für den nicht Eingeweihten ist es immer schwer, den besonderen Reiz dieses Dorfes zu erklären. Um es kurz zu machen: Mit seiner Liebsten am Strand bei Sternschnuppen Wünsche gen Himmel zu senden, muß als Erklärung reichen.
Wir kamen in der Abenddämmerung an. Wir waren absolut allein auf dem Platz, kein Wunder, war es doch schon Herbst und die Saison für Camper vorbei. Unser Auto stellten wir direkt an die Uferkante um freien Blick aufs Meer genießen zu können. Es war Flut, vom sonst so weitläufigen Strand war kein Sandkorn zu sehen. Das Wasser reichte bis zu den Kieselsteinen, die durch die Wellen bewegt dumpf grollten.
Als wir ausstiegen, umwölkten uns sofort ganze Legionen von kleinen Fliegen. Wild um uns schlagend rannten wir einige Meter weiter um ihnen zu entkommen. Zwecklos, direkt vor uns stiegen immer neue Legionen aus der Wiese. Blieb nur noch die Flucht zurück ins Wohnmobil.
Helmuts Laune war sofort auf dem Nullpunkt. Das war sie also – MEINE GELIEBTE BRETAGNE – am Startpunkt Plovan. Nur die Schützengräben bei Verdun unter Dauerbeschuß konnten schlimmer sein.
Irgenwann war der Hauptfliegensturm vorbei und ich konnte mein Zelt aufbauen. Warum ich nicht im Wohnmobil schlafen konnte wird jeder begreifen, der einmal eine Nacht mit Helmut in Hörweite verbracht hat. Der sägt innerhalb Stunden ganze Wälder nieder, von Schlaf kann hier nicht die Rede sein. Heute kann ich mir erklären, warum die Bretagne in Küstennähe fast ohne Baumbewuchs ist. Helmut muß früher schon hier gewesen sein.
Am nächsten Morgen sah die Welt schon anders aus. Die Sonne kam heraus – ohne Fliegen – und Helmuts Laune war bestens. Meine auch! Lange sind wir an dem Ort nicht geblieben, ist er doch für den Nicht-Fan zu dieser Jahreszeit ein wenig trostlos.
Auf der Halbinsel Crozon
Vor Jahren hatte ich mal ein verfallenes Haus auf der Halbinsel Crozon besichtigt. Ich erinnerte mich, dass die ganze Gegend durchaus einen Abstecher wert war. Crozon ist ein großer Landzipfel und wird im Süden von der Bai de Duarnenez und im Norden von der Bucht von Brest eingeschlossen.
Steht man im nördlichsten Zipfel der Halbinsel, hat man einen grandiosen Blick über die Bucht auf die Hafenanlagen von Brest. Irgenwo in der Nähe von Camaret sur Mer haben wir uns auf einen Stellplatz gestellt und erst mal gefrühstückt.
Anschließend haben wir das „Inland“ erkundet und haben eine alte Festungsanlage entdeckt. Auch wenn der Zugang offiziell nicht freigegeben war, haben wir doch einen (etwas waghalsigen) Weg ins Innere gefunden.
Die Kletterei hat sich durchaus gelohnt. Ein beeindruckendes, von Grundriss quadratisches Gewölbe, mit einer zentalen Säule, die sich bogenförmig in alle vier Richtungen erstreckte (sorry ein Architekt hätte es besser beschrieben).
Später sind wir dann – ich weiß nicht mehr wo auf Crozon – auf eine Hafenanlage gestoßen, die im Eingang jede Menge Schiffswracks rumliegen hatte.
Warum sich keiner drum kümmerte, konnte niemand sagen. Dieser sehenswerte Schiffsfriedhof hatte jedenfalls Museums-Charakter.
Crozon ist nicht gerade groß. In ost-westlicher Ausrichtung mißt sie gerade mal 30 km und kann gut an einem Tag abgefahren werden. Ich erinnere mich noch genau, dass wir zwei mal übernachtet haben.
Wir zogen in den Süden von Crozon an das Cap de la Cevre. Eine überwältigende Küste mit wunderschönen, zig Meter hohen und steil abfallenden Klippen. Wie an allen Bretagne Küsten ragen auch hier irgend welche dünnen Zipfel geradewegs ins Meer und nennen sich Point de „Irgendwas“. Und genau den wollten wir besichtigen. Ausgestattet mit einem Turm, einem Parkplatz und dummerweise auch mit einem Häuschen mit Wächter der abkassieren wollte. Wir wollten aber nicht und drehten um. Da es schon spät wurde und auf dem ganzen Hinweg kein Stellplatz zu sehen war, beschlossen wir im Strassengraben stehen zu bleiben und dort zu übernachten. Wofür hat man schließlich ein Wohnmobil?
Eines hatte ich spontan nicht bedacht: Helmut die Säge. Für mein Zelt gab es keinerlei Platz – und es war ein kleines Zelt. Rechts vom Graben gab’s eine dichte Dornenhecke und jenseits derselben steil ansteigend immer noch Dornen. Auf der anderen Seite der Straße ging’s direkt steil runter Richtung Meer – die eben beschrieben wunderschönen Klippen.
Meine Geduld – oder besser Verzweiflung – ging bis morgens gegen fünf Uhr. Dann nahm ich meinen Schlafsack und legte mich 10 Meter weiter außerhalb der Hörweite in den Strassengraben. Was soll ich sagen, keine halbe Stunde fing sanfter Nieselregen an meinen Schlafsack zu durchweichen. Egal! Irgendwie habe ich mit der Kapuze über dem Kopf doch etwas geschlafen, bis das Hupen eines PKW mich weckte. Eine Frau schaute besorgt aus dem Fenster und fuhr erst weiter, nachdem ich mich als noch lebend identifiziert hatte.
Inzwischen war es hell geworden und Helmut – anfangs besorgt über das leere Bett – hatte wenigstens mit dem Kaffeekochen begonnen.
Die Nacht war dann auch schnell vergessen und wir verbrachten den Tag noch an den besagten Klippen fernab jeglicher Zivilisation.
Außer den Bildern der Entspannung auf unseren Klappstühlen erinnere ich mich noch an den wunderbaren Ausblick in einer Situation, die aus dem Mangel an einer Toilette entstand. Außer mit dem Klappspaten bewaffnet hatte ich auch noch die Kamera dabei, um diese einmalige Sitzung für die Nachwelt auf Film zu bannen.
Irgendwann mache ich ein Poster für meine Toilettentür daraus.
Fortsetzung folgt in Kürze >>
Weiter geht’s zum Cap Frehel an der Nordküste der Bretagne.