Wir brechen zeitig von unserem Lieblingsplatz in Le Croyton auf, um noch mal kurz in Abbeville das Morgenlicht zu checken und es dann doch noch mit dem Gaskauf zu probieren, bevor es nach Amiens weitergeht. Auf dem Weg, nahe dem Dorf Noyelles-sur-Mer hatten wir gestern schon ein Schild „Cémetière chinois“ gelesen – ein chinesischer Friedhof? hier? Der kleine Abstecher erweitert mal wieder unseren Horizont: Im Ersten Weltkrieg verheizte man, wie wir wissen, die Männer zu Hunderttausenden in den Schützengräben dieses Landstrichs. Was fehlte, waren Arbeiter in Rüstungsindustrie und Landwirtschaft, die Frauen allein packten es nicht mehr. Daraus ergab sich 1916 ein Anwerbeabkommen zwischen Großbritannien, Frankreich und China, und es kamen insgesamt 150.000 Chinesen als „Gastarbeiter“. Nach dem Krieg gab es Probleme mit der Rückkehr, weil sich in China politisch einiges verändert hatte. Wenn ich die Infotafel richtig gelesen habe, starben die meisten 1920 an der Spanischen Grippe. Der Friedhof wird von den Briten verwaltet und kommt uns beinahe besser gepflegt als jeder Kriegsgräberfriedhof vor.
Weiter ging es durch das Somme-Tal nach Abbeville, wo wir zunächst den Carrefour aufsuchten, um unser Gasthema anzugehen. Vor der Abfahrt hatten wir uns noch mit einem Vierer-EU-Anschlußset für 20 Euro ausgestattet, das uns in ganz Europa den Zugriff auf fremde Gasflaschen erlauben sollte. Die andere Variante, mit der man unsere Flaschen aus fremden Systemen füllen kann, gab es leider nicht mehr, aber wir haben auch nirgendwo einen klassischen Gashändler wie unseren geliebten Rummel, gesehen. Und versuch das mal zu googeln, du kriegst alles mögliche, aber keinen Gashändler in Nord-Pas-de-Calais. OK, machen wir es kurz: Flasche gegen Pfand mieten ist nicht, du mußt eine kaufen und kannst dann tauschen (ist bei uns ja auch nicht anders). Wir also eine 5kg-Flasche Propan von Antargas erworben, mit dem „Détenteur“, also dem Druckminderer oben drauf. Probieren das noch auf dem Parkplatz aus, und nix paßt. Netterweise haben sie uns das Zeug auch wieder abgenommen und Geld zurück, aber wir müssen mal sehen, für wieviele Nächte die zweite Flasche noch gut ist. Notfalls müssen wir halt kuscheln …
Der Himmel bläute die ganze Zeit so wolkenlos vor sich hin, daß ich ganz zappelig wurde – es gibt wirklich besseres, als die beste Lichtstunde des Tages fummelnd und radebrechend auf dem Carrefour-Parkplatz zuzubringen (aber es geht inzwischen gar nicht so schlecht mit dem Sprechen, irgendwie kommen wir klar, auch wenn sich meiner Romanistik-Freundin vermutlich die Zehennägel aufrollen würden). Im Anschluß noch mal die gotischen Portale und Südseite der Kirche besichtigt, aber dann doch Richtung Amiens aufgemacht.
Auf der Touri-Website der Stadt Amiens finden sich vier Park- oder Stellplätze für Wohnmobile, von denen wir uns den am Parc St. Pierre aussuchen, was sich als sehr gute Wahl herausstellt. Wie wir gesehen haben, machen die Franzosen offenbar (anders als die Engländer!) keinen großen Zirkus darum, ob man irgendwo über Nacht steht, wo man auch tagsüber stehen darf. Oben an der Küste dengeln sie schon ab, wo sie Dich nicht haben wollen, aber sonst sind sie entspannt. In Amiens steht auch schon ein junger Mann mit seinem Selbstausbau, der so aussieht, als ob er hier wohnt. Zwei weitere Mobile, aber Platz für sicher 10 oder 12 in den Parktaschen zwischen den Bäumen. Blick direkt auf die Kathedrale. Prima, dann können wir uns ja heute nacht das Silvesterfeuerwerk direkt von hier aus ansehen … aber erst mal rüber zur Kathedrale.
Sie ist UNESCO-Kulturerbe wie in Köln, aber sowas von ruhig und nicht überlaufen … mag am Datum liegen, aber wir haben nichts dagegen. Bei der Turmbesteigung um 15 Uhr waren vielleicht 10 Leute oben, und wir können uns kaum von Aussicht und Gargoyles trennen. So nach und nach lernen wir so die französische Gotik doch noch kennen. Diese Kathedrale ist durchaus von der Größe mit Köln vergleichbar und gilt als Vorbild „unseren Dom“. Sie hat erstaunlicherweise beide Kriege gut überstanden, obwohl es 1915, 1918 und 1940 Kämpfe bzw. Bombardierungen in der Stadt gab. 1918 soll sich Papst Benedikt XV. bei den Deutschen dafür eingesetzt haben, die Kathedrale nicht als Ziel zu verwenden, und sie haben sich wohl dran gehalten.
Wir machen noch einen kleinen Rundgang bis zum Befroit, dem Belfried, an dem sich – bei sonst fast ausgestorbener Stadt – überraschend noch eine offene Markthalle befindet, wo man sich mit feinen Lebensmitteln für das Silvestermenü eindecken konnte. Wir hatten uns ja schon in den Intermarchés dieser Hemisphäre reichlich eingedeckt, so daß sich nur eine ganz kleine Original Ste.-Maure-Käserolle in den Rucksack schmuggeln konnte. (Zitat Ray: „wenn wir die 3,5 Tonnen mal überschreiten sollten, dann gewiss mit Lebensmitteln“)
Ein gemütlicher Abend mit einem frischen Container Vin de Pays Rouge schloß sich an, und wir kämpften die letzte halbe Stunde vor Mitternacht mit dem Schlaf … aber wir wollten ja unbedingt die ideale Position nutzen und um Mitternacht mit dem Stativ raus! Und wir haben es geschaft – nachfolgend sehen Sie, liebe Leser, die Kathedrale von Amiens mit dem Silversterfeuerwerk 2014:
Frohes Neues Jahr!
keine einzige Rakete am Himmel….wo ist denn das Feuerwerk?
Amiens soll ja sehr schön sein. Ich hab leider böse Erinnerungen an den Ort. Nachdem ich in den 90ern dort mit gerissenem Kupplungsseil mit einer zickigen Frau im Gepäck das Wochenende im Industriegebiet verbracht habe.
Seitdem wird Amiens auf jeder Bretagne-Reise möglichst umfahren.
Du immer mit Deinen zickigen Frauen … statt mal das gerissene Kupplungsseil zu genießen! Im übrigen haben wir inzwischen erfahren, daß es tatsächlich vielerorts in Frankreich verboten ist, privates Feuerwerk abzubrennen, wie man z.B. hier nachlesen kann. Kann nicht behaupten, daß mir das unsympathisch ist, wenn ich den Dreck in Köln immer so sehe.