„Kommt denn wieder was im Internet?“ – „ja, Papa, natürlich“
Ausgerechnet den Niklas-Orkandienstag legt das Schicksal als unseren Abreisetag fest. Nach einem Kurzbesuch mit Gasflaschenauffüllung bei unserem Lieblingsdealer Rummel hoffen wir auf Rückenwind. Wir meiden die gesperrte A45 mit dem umgestürzten LKW und es weht uns – tatsächlich überwiegend Rückenwind, man merkt es an Pösslchens leichtem Lauf und dem Spritverbrauch – gegen Abend auf den kostenlosen Stellplatz an der Elbe in Pirna, wo wir auf unserem Lausitz-Trip letztes Jahr schon mal übernachtet hatten. Wir stellen Pösslchen mit der Nase in den Wind und weit weg von allen Bäumen und schlafen tief und fest. Morgens geht es nach dem Frühstück gemütlich Richtung Prag weiter. Aber was macht plötzlich der Schnee hier??? So haben wir nicht gewettet! Naja, das sind noch die Reste vom Erzgebirge, kaum sind wir an Usti nad Labem (Aussig) vorbei, wird es sonniger.
In Prag machen wir erst mal eine Rundfahrt über den Prager Ring, weil wir uns von der falschen Seite einfädeln. So sieht man auch was von der Stadt! Ray ist ja zum ersten Mal hier, dem muß man was bieten. Schließlich erreichen wir die Moldauinsel Císařská louka, wo sich gleich zwei geöffnete Campingplätze befinden. Wir machen unsere Wahl abhängig davon, ob das Bötchen auf der Nordseite uns (außerhalb der Saison) in die Stadt bringt oder wir die Insel doch über die Brücke an der Südseite Richtung Straßenbahn verlassen müssen. Wir haben Glück, das Bötchen scheint tatsächlich (halbstündlich!) zu fahren. Dann natürlich den Platz mit der schöneren Aussicht auf Vyshehrad, im Norden der Insel. Besetzt ist der hier nur von 16-18 Uhr, nehmt Euch schon mal einen Platz, Strom ist eh angeschlossen, Wasser und Entsorgung ist auch zu finden, alles prima. Nach einer Brotzeit machen wir uns auf Richtung Bootsanlegestelle. Erwähnte ich, daß wir noch gar keine Kronen getauscht hatten? Ich äugelte mit dem Bootsführer, ob wir auch in Euro bezahlen könnten: „No“ Ups. Was jetzt? „I take you for free“. Oh … irgendwie hatte ich dann das Gefühl, daß ich ihn mit einem Euro Trinkgeld dann auch eher beleidigen würde, also genießen wir die kurze, etwas nasse Fahrt, als uns der Wind die halbe Moldau ins Gesicht und mir aufs Hinterteil weht.
Von der Bootsanlegestelle Vyton, die auch eine Straßenbahnhaltestelle für drei Linien ist, marschieren wir strack Richtung Karlsbrücke und Altstädter Markt. Einmal muß man sich den ganzen Trubel ja mal geben, wobei es um diese Jahreszeit ja noch einigermaßen erträglich ist. Der April ist einige Stunden gnädig zu uns, die Sonne scheint und alles ist blitzblank saubergewaschen und -geweht.
Ich habe so ein seltsames Gefühl, einerseits war ich vor 20 Jahren und mehr gefühlt ein halbes Dutzend mal hier – auch damals schon post-sozialistisch –, und Ray sieht das alles zum ersten Mal, so daß ich automatisch in eine Touri-Guide-Rolle verfalle („und das ist die Uhr des blinden Jünglings“ – „laß uns zum Pulverturm rübergehen“), andererseits habe ich vor 20 Jahren noch ganz anders auf alles geschaut, und Prag war einfach nur ein cooler ost-westlicher Treffpunkt, wo man halt regelmäßig hinfuhr, und meine Augen sehen heute andere Dinge – einerseits Sachen, die ich früher nie gesehen hätte, andererseits habe ich diesen nostalgischen Blick „Oh, im Café Slavia habe ich mal gefrühstückt, damals, als ich mit … “ oder „laß uns unbedingt zum Hotel Europa gehen, auf die Gefahr hin, daß es völlig anders als früher ist“. Usw.
Was natürlich genauso oder schlimmer ist als früher, sind die Touristenströme, von denen wir ein Teil sind, oder die vorher unsichtbare „Service“-Pauschale, die man in einem Café auf die Rechnung geschlagen bekommt. Apropos Café: das glänzende Hotel Europa am Wenzelsplatz, wo man ganz ganz früher den ganzen Tag sitzen konnte und einen türkischen Kaffee, so richtig mit „Prött“ unten drin trinken konnte, und später dann, ich glaube es war Jakobs-Kaffee, fand ich doof damals, ist mit Brettern vernagelt. Anscheinend ist der Eigentümer über der Renovierung insolvent gegangen … traurig. Die Musikkapelle vor den Brettern spielt passend zu einen Gefühlen nostalgische Melodien mit schmelzenden Streichern.
Mit Straßenbahn und durch Graupelschauern schlagen wir uns nach einem Abstecher in den Supermarkt zurück zu unserer Insel durch. Wie schön, daß wir den Bootsführer schon kennen! Jetzt haben wir unsere Tageskarte für den kompletten Nahverkehr und fahren eine Runde Zickzack über die Moldau. Pösslchen erwartet uns und wir erledigen noch unseren Check-In: rund 30 Euro für 2 Nächte mit Strom und warmer Dusche mit so vielen Jetons, wir wir wollen. Hier läßt es sich aushalten.
Weiter geht’s mit Tag 2 in Prag